Weihnachten 1943

W

(von Ellen Probst)

Wegen der ständigen Bombenangriffe auf Kiel lebten wir mit zwei anderen Familien, Verwandten aus Hamburg, bei unseren Großeltern auf dem Lande. Im Hause war man mit den Vorbereitungen für Weihnachten beschäftigt. Es wurde fleißig gebacken und gebrutzelt. Der Festtagsbraten war für uns kein Problem, denn Opa war nicht nur Landwirt sondern auch Hausschlachter und Jäger. Wald gehörte zum Besitz. Er war übrigens der einzige deutsche Mann auf dem Hof, ihm zur Seite stand Dragolup, ein serbischer Kriegsgefangener. Er bekam zu Weihnachten ein Care-Paket und schenkte uns die Schokolade, wobei er sicher an seine 3 Kinder zu Hause dachte, die genau so alt wie wir waren. Für ihn hatte Oma Wollstrümpfe gestrickt.

Jedes Jahr am Nachmittag vom Heiligabend ging Tante Irene mit uns Kindern in den 4 km entfernten Nachbarort in die Kirche. Dieses Mal war feuchtes, ungemütliches Wetter. Wir haben uns trotzdem auf den Weg gemacht und den Weihnachtsgottesdienst erlebt, der immer sehr feierlich mit einem Krippenspiel und Weihnachtsliedern gestaltet wurde. Als wir die Kirche verließen, trauten wir unseren Augen kaum, es hatte inzwischen geschneit! Das passte so richtig zu unserer Weihnachtsstimmung. Herrlich, so durch den weichen Schnee zu stapfen. Wir strebten erwartungsfroh nach Hause. Es wartete sicher schon der gedeckte Tisch auf uns. Gegessen wurde vor der Bescherung. Ist es da ein Wunder, dass wir Kinder vor Aufregung kaum etwas zu uns nehmen konnten? Erst als die Küche geputzt war, kam der große Moment.

Nun erklang ein sanfter Ton aus einem Horn und die Tür zum Weihnachtszimmer wurde geöffnet. Da stand er nun, der Tannenbaum, mit brennenden Kerzen und weihnachtlichen Dingen herrlich geschmückt. Er war so schön, dass ich weinen musste (das ging mir noch viele Jahre so). Wir Kinder sagten unsere Gedichte auf, wir sangen gemeinsam die alten, liebenswerten Weihnachtslieder und dann durften wir endlich unsere Geschenke auspacken. Einer nach dem anderen, für jeden war etwas dabei.

Meine kleine Schwester hatte eine niedliche Babypuppe bekommen und freute sich sehr. Jetzt war ich an der Reihe. Mein Paket fühlte sich auch so an, als wäre eine Puppe darin, und es war tatsächlich so. Aber, oh je, wie sah die denn aus? Sie hatte einen Stoffkörper, einen Porzellankopf und Porzellanarme und -beine mit Gelenken. Ich habe mich richtig erschrocken und mochte sie überhaupt nicht leiden. Ich hatte sehr mit mir zu kämpfen, es niemand merken zu lassen. Mutti hatte bestimmt alles versucht, um für jeden von uns ein Geschenk zu finden. Schließlich muss es ihr irgendwie gelungen sein, diese beiden Puppen auf dem Tauschweg zu erhalten. Es war auch richtig, dass Margot die süße Babypuppe bekam. Sie war ja auch noch so klein, 6 Jahre jünger als ich. Eigentlich bin ich doch schon zu groß für eine Puppe. Das wusste ich alles und versuchte krampfhaft, es zu verstehen. Ich zwang mich, mit ihr zu spielen. Es endete so, dass ich der sonderbaren Puppe einen Schlafanzug anzog und sie ins Bett steckte. Sie musste schlafen – ich brauchte sie erst einmal nicht wieder anzufassen. Bis heutige denke ich zu Weihnachten an meine „Kalischenpopp”. Sie ist für mich Erinnerung an Weihnachten im Kriege, wo es so manches „Überraschungsgeschenk“ gab.

 Ellen Probst, 03.10.2005

 

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