Ungerechte Bestrafung

U

(von Hans Meier)

Bevor die Autobahn so Anfang der 1960er Jahre in der Quick-borner Heide gebaut wurde, und wir noch nicht Autobahn-bauvertriebene waren, wohnten wir am Ende der Habichtstraße, die vom Grandweg abgeht.

Ich spielte oft mit dem Nachbarsjungen und ab und zu gab es von seinem Vater einen Bonbon. Wenn er seinen Wagen in die Garage fuhr und ausstieg, wurde er schon von uns  5-jährigen Jungens belagert. Nun gab es natürlich nicht immer einen Bon-bon, dann half auch kein Betteln, denn er war sehr streng und sein Wort war Gesetz.

An irgendeinem Sommertag spielte ich wieder mit dem Nach-barsjungen. Die Sonne schien, es war warm und wir liefen um sein Elternhaus herum „Kriegen“ spielen. Er war ein bisschen schneller als ich, aber ich war ihm dicht auf den Fersen.

Vor der Haustür schüttete sein Vater einen meterlangen Geh-weg aus Zement, den er mit einem Brett glättete. Es missfiel ihm schon, dass wir nach jeder Hausumrundung über den einen Meter breiten, frisch betonierten Weg sprangen.

Wir bekamen von ihm eine Ermahnung. Mit erhobenem Zeige-finger stellte er uns in Aussicht, wehe dem, der auf dem fri-schen Beton träte. Und ging in das Haus.

Wir hatten natürlich vor, weiter unsere Kurven zu ziehen und über den Gehweg zu springen, als wenn es eine Leichtigkeit wäre. In der nächsten Runde sprang der Nachbarsjunge über den neuen Weg. Danach war ich an der Reihe und ich konzen-trierte mich ganz besonders. Als Weitspringer, der beim Sprung nicht übertreten darf, kam ich jedoch aus dem Tritt, sprang zu früh, kam auch noch zu schnell runter – und berührte mit dem rechten Fuß den Beton, den ich, kaum dass ich die verbotene Zone berührte, auch schon wieder mit anhob, um mit Mühe den rettenden Grasboden erreichte.

Der Nachbarsjunge hatte es nicht gesehen und lief munter wei-ter. Ich war entsetzt, der Vorsprung wurde größer, ich konnte nicht mehr so schnell hinterherlaufen und wir kamen schließlich wieder zum betonierten Weg.

Da stand auch schon der Vater und hielt uns an. Er war sehr zornig und hielt uns eine laute Standpauke. Ich hatte große Angst, deswegen sagte ich auch ‚Nein‘ als er mich fragte ob ich da hineingetreten sei. Vielleicht dürfte ich mit dem Nachbarsjun-gen nicht mehr spielen oder ich bekäme Schläge, ich weiß nicht mehr warum – ich blieb aus Angst bei meinem Nein. Der Nach-barsjunge sagte natürlich zu Recht auch Nein.

Das haben wir gleich, sagte er, und wir sollten unsere Fußab-drücke daneben setzen. Ich war zuerst dran und setzte mein Fuß neben den alten Abdruck. Dann kam der Fuß von dem Nachbarsjungen und der Vater verglich beide.

Mit einem Mal holte er weit aus und gab dem Nachbarsjungen eine gewaltige Ohrfeige, dass der Kopf nach links flog und ihm die Tränen in die Augen schossen. „Du hast erstmal Stubenar-rest und die Ohrfeige ist für das Lügen“ sagte er.

Unter Schluchzen und mit weinerlicher Stimme beteuerte mein Spielkamerad, dass er das nicht gewesen war, aber es nützte nichts, er musste sofort ins Haus. Wie versteinert vor Angst stand ich da, als der Vater sich zu mir drehte. „Und du gehst jetzt sofort nach Haus“ donnerte er, was ich auch eiligst machte.

Wenn ich heute darüber nachdenke und die Bilder Revue pas-sieren lasse, sehe ich noch, wie mein Fuß kleiner war, der Ab-druck des Nachbarjungen jedoch genau in die zuvor gezogene Spur hineinpasste. Was sein Vater nicht berücksichtigt hatte, war: wenn ein springender Fuß auf dem Beton landet, drückt er durch diesen Sprung ein wenig länglicher ab. Das Pech meines Freundes war, dass er einen längeren Fuß hatte als ich.

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