Überschwemmungen

Ü

Es muss 1946-47 in Sarstedt, einer kleinen Stadt zwischen Hildesheim und Hannover, gewesen sein. Der genaue Zeitpunkt ist mir nicht bekannt. Für meine Geschichte auch nicht so wichtig. Wichtig ist aber, dass sie sich wirklich so zugetragen hat.

Durch diese Kleinstadt fließt die Innerste, ein Fluss der sein Wasser aus dem Harz bekommt. Im Frühjahr, wenn starke Regenfälle waren und die Schneeschmelze einsetzte, wurde aus diesem sonst so ruhigen Fluss ein reißender Strom. In dem oben genannten Jahr war es mal wieder besonders schlimm. Meine Großeltern wohnten nicht weit von der Kirche entfernt und dort war ein sehr tiefer Punkt der Gemeinde. Die Polizei warnte die Bevölkerung. „Die Innerste hat nur noch wenige Zentimeter, dann tritt sie über die Ufer“, wurde durch Lautsprecherwagen verkündet.

Opa und Oma brachten ihre Hühner und Kaninchen auf den Boden, ja sogar die Ziege musste dort hin. Die Bevölkerung war in großer Sorge, denn in der Stadtmitte war die Steinbrücke die über die Innerste führt. Es wurde ständig gemessen, wie viel Zentimeter Platz noch zwischen Wasser und Brücke waren. Das Land vor und hinter dem Ort war längst überschwemmt. Da gab es einen Bäcker, da floss das Wasser hinten in die Backstube rein und vorn aus der Ladentür mit Getöse wieder heraus. Es waren schlimme Tage.

Bei Opa und Oma, die Hochparterre wohnten, machte das Wasser vor der Haustür halt und so war es auch nur etwas in die Kirche eingedrungen. Die Brücke hielt stand und nach ein paar Tagen stieg das Wasser nicht mehr, es fiel langsam wieder. Als die Brücke für Fußgänger wieder frei gegeben wurde, sah man den Pastor mit einem Waschbottich auf der Straße. Er wollte in die Kirche, da sie aber nicht trockenen Fußes erreicht werden konnte, stellte er den Bottich ins Wasser und ruderte auf der „Wasserstraße“ in sein Gotteshaus. Dort angekommen läutete er die Glocken zum Zeichen, „das Schlimmste“ ist vorbei, das Wasser steigt nicht mehr. Wir waren alle sehr froh, wussten wir doch, nun geht es auch Oma und Opa gut. Telefone so wie heute, um eine Nachricht zu geben, gab es noch nicht in der Fülle,  man war nur immer auf die Mund zu Mund Propaganda angewiesen.

Heute gibt es in Sarstedt nicht mehr solche schlimmen Hochwasser. Im Harz gibt es Stauseen und der Flusslauf ist jetzt auch anders.

 erstellt am 21.02.2007

Über den Autor

Annemarie Lemster

Jahrgang 1938
Verkäuferin

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