Meine Schulfreundschaft

M

1950 bekamen wir in unserer Klasse eine neue Schülerin. Da stand ein kleines dünnes Mädchen vor der Klasse und stellte sich vor. Ich heiße Isolde Ruffer und komme aus Brunkensen.

Sie bekam einen Platz zugewiesen und setzte sich. Isolde, wie kann man denn so heißen? Ich hatte so einen Namen noch nie gehört. Nach der Stunde hatte Isolde und ich den gleichen Weg nach Haus. Diesen Weg gehen Isolde und ich in meiner Erinnerung bis zum heutigen Tag immer noch gemeinsam, mal mehr oder weniger intensiv.

Die Freizeit verbrachten wir, wenn es ging, immer gemeinsam. Die Schule beendeten wir und erlernten einen Beruf als Verkäuferin. Isolde verkaufte später Schuhe und ich den Leuten Fleisch. Es war eine schöne Zeit, denn die Abende gehörten uns.  Man spielte damals gerne Gesellschaftsspiele und langsam wurde immer mehr über das andere Geschlecht gesprochen.

So verliebten wir uns auch fast zur gleichen Zeit. Unsere Freunde verstanden sich auch und nun waren wir, vier Freunde. 1958 begann für uns ein Schicksalsjahr. Wir wollten heiraten. An einem Sonntag im November wurde in der Kirche von der Kanzel verkündet, dass Isolde und Walter, und Annemarie und Dieter das Aufgebot zur Eheschließung bestellt hätten. Als wir die Kirche verließen wurde hinter uns getuschelt: „Das ist aber eine schöne Freundschaft, die heiraten auch zur gleichen Zeit, das finde ich schön“. Wir taten als hätten wir es nicht gehört und gingen schnell weiter.

Gewollt war diese Gemeinsamkeit zwar nicht direkt, aber im Leben gibt es Situationen, die dulden keinen Aufschub. Noch zweimal wurde an den darauf folgenden Sonntagen das Aufgebot verlesen, dann kam unser großer Tag. Aber da jeder bei der Hochzeit der anderen dabei sein wollt, heiratete Isolde vor mir. Im darauf folgenden Jahr bekamen wir dann unsere ersten Kinder. Nun spazierten wir wieder gemeinsam jetzt mit unseren Kinderwagen durch die Stadt. Bald hörten die Gemeinsamkeiten aber auf. Ich verließ Sarstedt und zog mit meiner Familie nach Northeim, Isolde blieb am Ort.

Die folgenden Jahre sahen wir uns selten und Telefon hatten damals nur ganz wenige Leute. Für Briefe fehlte sehr oft die Zeit, denn meine Familie vergrößerte sich in jedem Jahr, aber fuhren wir einmal zu meinen Eltern, musste ich immer auch zu Isolde. Diese Treffen waren wunderbar, es war immer so, als hätten wir uns erst gestern verlassen.

Die Zeit verging, die Kinder wurden größer, da verbrachten wir mit unserer Kinderschar gemeinsame Campingurlaube an der Ostsee und weitere Jahre später, wir wohnten jetzt in Quickborn, die Kinder waren alle schon aus dem Haus, da zogen wir gemeinsam durch die bayerischen Wälder. Später haben wir auch einen gemeinsamen Urlaub auf Mallorca verbracht.

Als dann Isolde ihren Mann beerdigen musste, war es keine Frage, ich fuhr sofort zu ihr und blieb zwei Wochen bei ihr. Nun sind wir beide über siebzig Jahre alt und sehen uns leider nicht mehr so oft, nur jetzt hat ja jeder ein Telefon und diese Telefonate dauern dann so lange wie früher, als wir uns unsere Erlebnisse im Straßengraben sitzend erzählten.

Liebe Isolde, ich habe dich nicht um Erlaubnis gefragt ob ich unsere Geschichte veröffentlichen darf, aber da wir uns so gut kennen, wirst du einverstanden sein. Wer kann denn noch über eine so lange Freundschaft berichten!

erstellt am 06.09.2010      

Über den Autor

Annemarie Lemster

Jahrgang 1938
Verkäuferin

Neueste Beiträge

Kategorien