Meine erste Brieftasche

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Brieftaschen sind nicht mehr ‚in‘. “Mann” hat heute kleine lederne Handtaschen, die auch schon mal etwas teurer sein können, von Samsonite oder gar Vuitton. Da steckt dann auch gleich das ganze Leben drin, Ausweise, Scheckkarten, Bargeld und und und – eigentlich nur noch um Nuancen unterschiedlich zu dem typischen Inhalt von Damentaschen.

Früher hatten die Herren Brieftaschen, die sie in die innere linke Brusttasche ihres Sakkos, Blasers, Jacke oder Joppe steckten. Im Sommer, wenn man “per Taille” rumlief, konnte es schon mal eine der hinteren Hosentaschen sein, aber das ist heute gefährlich, zu viele Taschendiebe sind unterwegs und da muss man dann schon aufpassen.

Meine erste Brieftasche erbte ich Anfang der 1950er Jahre von meinem Vater. Ich liebte sie, obwohl sie eigentlich gar keine richtige Tasche war, es war ein Stück Leder, ehemals auf Hochglanz poliert, wie der Pappdeckel eines Oktavhefts zusammengeklappt und am schmalen unteren Rand zusammengenäht. In der Mitte stand in Goldschrift eingeprägt “Diamant Type 405” darunter dann noch “Krystall Type 790″ und Planges Patent Type xxx”, unten kurz über der Naht stand “Georg Plange Hamburg”, ebenfalls eingeprägt, aber diskret ohne Goldprägung.

Ich konnte mir darunter nichts vorstellen, aber das war auch nicht wichtig, denn nun hatte ich eine Hülle, wo meine Utensilien reinkamen: natürlich mein Personalausweis. Die erste Ausführung erinnere ich nicht mehr genau, später dann sah er zwar aus wie der westdeutsche, nur die Papphülle war grau, nicht grün und es stand auch nicht “Bundesrepublik Deutschland” drauf sondern nur “Behelfsmäßiger Personalausweis”, auch der Bundesadler war nicht drauf, aber man musste ihn immer bei sich haben. Auch mein Schülerausweis und die Monatskarte für die Straßenbahn gehörten zum Inhalt. Natürlich wäre auch Platz für Geldscheine gewesen, aber wenn ich damals als Schüler überhaupt ein bisschen Geld hatte, waren es Münzen und die hatte ich in der Hosentasche. Im Laufe der Zeit kamen auch einige Fotos mit hinein – und und und. Es war im Grunde genommen auch “mein ganzes Leben” da drinnen, nur im Anfang war das natürlich noch nicht so viel, aber aufpassen musste man natürlich, denn der Verlust der “Papiere” ist ja auch heute noch eine mittlere Katastrophe.

Ich habe diese Lederhülle immer noch, sie muss so um die 80 Jahre alt sein. Mein Vater hat sie lange vor dem Krieg bekommen. Als wir vor einigen Jahren umzogen, bekam ich sie wieder einmal zu Gesicht. Über das Internet bekam ich heraus, dass es diese Firma immer noch gibt. Es ist eine richtige Mehl-Mühle! Sie ist über 100 Jahre alt und wurde 1895 in Hamburg gegründet. Die Worte, die auf der Vorderseite in Goldprägung zu lesen sind, waren Typenbezeichnungen für bestimmte Mehlsorten. Heute gibt es die Type 405 immer noch.

Irgendwann in den 1970/80er Jahren kam dann die Mode mit den Herrentaschen auf, Ich bekam natürlich auch solch Ding geschenkt, nicht ganz so teuer wie die oben beschriebenen Vuitton-Modelle, aber an die 100,– DM musste man auch schon rechnen. In diesen Täschchen gibt es verschiedene Fächer und das ist gut so. Da stecken meine diversen Karten drinnen, darunter z.B. meine Krankenkassenkarte, ADAC, pay-pall usw., aber keine Scheckkarte! Ich habe ja schließlich einen Finanzminister, der sich um die Geldsachen kümmert, meine Frau. Und ich bekomme – wie früher Taschengeld. Scheine und Kleingeld sind getrennt, aber sie fliegen trotzdem durch die Fächer, denn unten sind die nicht geschlossen. Manchmal versteckt sich auch ein Kugelschreiber dort, aber wenn man ihn braucht, ist er verschwunden.

Übrigens verschwunden: die Tasche war schon mehrmals verschwunden, mit samt dem Inhalt! Immer ist es meine eigene Schuld gewesen, mal lag sie auf dem Autodach, als ich wegfuhr, mal habe ich sie im Einkaufswagen vergessen und bin dann ausgerufen worden. Im Laufe der Jahre hat meine jetzige Tasche schon einiges miterlebt. Ich frage mich manchmal, ob ich nicht doch wieder zu der einfachen Brieftasche zurückkehren sollte, aber die Kleiderordnung hat sich ja auch schon so sehr geändert, dass es heutzutage keine richtige Stelle mehr gibt, wo sie untergebracht werden kann.

im September 2010

Über den Autor

Fritz Schukat

Jahrgang 1935
Prüfdienstleiter

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