Ich sehe fern

I

Ich bin mit dem Rundfunk groß geworden. Schulfunk, Hörspiele, Bunte Nachmittage und Abende, Nachrichten und vor allen Dingen Sportübertragungen gehörten zum Tagesablauf. Dabei lief der Apparat nicht den ganzen Tag. Aus dem Rundfunk-programm hat man sich die ausgewählten Sendungen heraus-gesucht und, wenn es so weit war, das Radio eingeschaltet. Die heutige Sendervielfalt kannten wir nicht. Wir konnten mit unse-rem Altradio nur einen Sender empfangen, es war der Nord-westdeutsche Rundfunk (NWDR).

Mit dem Fernsehen kam ich erst 1954 in Berührung. In den Fachgeschäften und in den Kneipen standen plötzlich Fernseh-geräte. Alle wollten das Endspiel zur Fußballweltmeisterschaft sehen. Die Kneipen waren dicht besetzt und vor den Fach-geschäften bildeten sich große Menschentrauben. Schließlich wollte man hautnah dabei sein und die eigene Mannschaft auf diese Weise unterstützen. Wegen der Drängelei vor den Ge-räten zog ich es vor, dem Rundfunkreporter Herbert Zimmer-mann zuzuhören. Seinen vierfachen Torschrei zum drei zu zwei werde ich nicht vergessen.

Es dauerte lange, bis auch wir in unserer Familie ein Fernseh-gerät hatten. Onkel Franz gönnte sich diese neumodische Errungenschaft. In seinem Wohn-Schlafraum stand eines Tages ein verschließbares Schränkchen. Stolz öffnete er die Türen und man erblickte einen dunklen Schirm. Er drückte auf einen Knopf und nach einer Weile erschien ein Bild aus Linien und Kreisen. Das sei ein Testbild, sagte er. Aus einem neben der Bildröhre befindlichen Fach holte er ein kleines viereckiges Kästchen, das mit einem langen Kabel mit dem Fernseher verbunden war. Das sei eine Fernbedienung, erläuterte er uns. Er müsste nicht immer zum Fernseher laufen, um ihn laut oder leise, hell oder dunkel zu stellen. Es gäbe auch nur ein Programm, das man abends stundenweise sehen könnte. Wir waren begeistert und sehr oft bei Onkel Franz zu Gast. Zu der Zeit nahmen wir Fernsehen noch gar nicht ernst. Der Rundfunk war immer noch dominant und beherrschte das Alltags-geschehen.

1956 kam ich von einer größeren Fahrradtour nach Hause. Ich hatte es mir genau ausgerechnet. Am 24.Juni wollte ich mir bei Onkel Franz das Spiel um die Deutsche Fußballmeisterschaft ansehen. Wegen eines Fahrradschadens verspätete ich mich. Ich konnte daher nur von der zweiten Halbzeit an das Spiel sehen. Es spielte Dortmund gegen Karlsruhe, zwei zu eins stand es nach 45 Minuten für Dortmund. Das Fernsehbild war nicht sonderlich klar. Mit der Zimmerantenne bemühten wir uns um Klarheit. Wir hielten sie hoch, mal links von der Bildröhre, mal rechts, bis wir eine Position fanden, die unter den gege-benen Umständen den bestmöglichen Empfang bot. Oft sahen wir auf dem Bildschirm nur einige schemenhafte Gestalten hin und herlaufen. Der Reporter kommentierte das Hin- und Her-gelaufe, denn sein Ton kam deutlich rüber. Trotz des Bild-nachteils waren wir von der Übertragung begeistert. Schließlich gewann Dortmund vier zu zwei und wir waren zufrieden.

Dass Fernsehen auf das Familienleben Einfluss nehmen würde, konnte man damals noch nicht einmal erahnen. Es ist leider oftmals so, dass man sich zwar gerne unterhalten lässt, aber selbst nur wenig zur Unterhaltung beitragen möchte.  Das war mal anders, da war man aktiv.

Früher war  doch einiges besser.

erstellt am 16.11.2009

Über den Autor

Uwe Neveling

Jahrgang 1937
Systemanalytiker

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