Flüchtlinge

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Mein Mann Ernst und ich, Edith, sind Flüchtlinge des 2. Weltkrieges. Ernst kam aus Ostpreußen und ich aus Pommern. Unsere Wege waren verschieden. Ernst ist mit seiner Mutter und 3 Brüdern per Anhalter und Bahn gereist und ich mit meiner Mutter und 5 Geschwistern mit einem Pferdetreck.

Obwohl in verschiedenen Orten gestrandet, ich im Kreis Cloppenburg, und Ernst im Kreis Segeberg, haben wir uns 1952 in Ellerau kennen gelernt und 1957 geheiratet. Wir haben gemeinsam über unsere Heimat geredet, es war uns klar, dass wir die mal gemeinsam besuchen würden.

Dieses ergab sich erst im Jahr 1990. Nach Pommern sind wir mit dem eigenen Auto gefahren. Zuerst war es etwas schwierig wegen der Kontrollen durch die Polen. Trotzdem waren es 4 Besuche und immer war eine meiner Schwestern dabei. Nach Ostpreußen war es schwieriger. Das änderte sich bei unserer Fahrt im Jahre 1993. Das Memelgebiet war nach dem zweiten Weltkrieg Litauen eingegliedert worden. Reisen in dieses Gebiet sind daher nach der Unabhängigkeit Litauens von der Sowjetunion problemlos. Die Reisegesellschaften hatten jetzt ein neues Ziel, um den Heimatverbundenen einen Urlaub in ihrer früheren Heimat zu bieten.

Wir und ein Bruder von Ernst entschieden uns für Schnieders Reisen. Zunächst musste man ein Visum beantragen, Jeder musste 100 DM bezahlen und Ernst hatte auf seinem Visum die ganze Reisegesellschaft. Dann war es soweit, die Lietuva stand in Fuhlsbüttel bereit, um mit uns einen 3-stündigen Flug nach Palanga zu fliegen. Leider war die Maschine ziemlich klapprig und uns war gar nicht wohl dabei. Doch die ersten Aah und Oohs kamen, als wir über die Ostsee flogen. Wir sind aber sicher in Palanga gelandet und eine Reiseleiterin, die deutsch sprach, führte uns zu unserem Bus, dort lernten wir dann auch die anderen Teilnehmer kennen. Mit diesem Bus haben wir fast jeden Tag Ausflüge gemacht, um die Sehenswürdigkeiten zu besichtigen und sind jeden Abend in einen anderen Ort zum Essen gefahren. Wir übernachteten und frühstückten im Hotel Memel in Klaipėda.

Als wir den ersten Morgen auf die Straße gingen, kam ein Taxifahrer auf uns zu und fragte, „Wohin soll ich euch fahren?“ Er war noch ein echter Ostpreuße und hat uns mit seiner Sprache oft zum Lachen gebracht. Nachdem wir über Tag, Zeit und Geld, eine Vereinbarung getroffen hatten, ging es los, Richtung Heimatort. Es war schon wichtig, dass wir einen Fahrer hatten, der Litauisch sprach. Heydekrug, wo Ernst einst mit seiner Mutter den Markt besucht hatte, war leicht zu finden. Die Kirche war wunderbar renoviert aus Spenden, und die Leute, die aus der Kirche kamen, konnten noch alle deutsch. Leider konnten sie uns auch nicht helfen, den Heimatort Jonaten zu finden, denn das war ja unser Ziel. Ernst konnte sich noch an einen Uhrmacher und an einen kleinen Friedhof in der Nähe erinnern. Dort lagen seine 3 kleinen Geschwister und seine Mutter ging im Sommer die Blumen begießen. Die Schule und den Bahnhof hatten wir schon gefunden und nach langem Rumfragen erinnerte sich ein Mann an den Uhrmacher und siehe da, wir hatten den Wohnort gefunden. Ein kleiner Feldweg bis zu einem alten Haus und die Erinnerung von Ernst waren wieder da. Dort lebte jetzt ein altes Ehepaar, sie konnten kein Deutsch und unser Fahrer hat gedolmetscht. Die Beiden freuten sich sehr, und Schwups stand eine Flasche Wodka auf dem Tisch. „Nastrovje“. Dann brachte die Frau etliche Scheiben fetten, mit groben Pfeffer bestreuten Speck und wieder hieß es „nastrovje“ Sie erzählten, dass alle Häuser abgebaut und nach Russland transportiert worden waren. Nach noch einem“ nastrovje“ und nachdem wir unsere Geschenke verteilt hatten, besuchten wir noch den Friedhof.

Dann ging es weiter nach Windenburg, wo ein kleiner Leuchtturm steht. Von da hatte man einen herrlichen Blick auf die Kurische Nehrung, die wir den nächsten Tag besichtigen wollten. Auch eine Vogelwarte war dort, ein Professor hat uns gezeigt, wie man die Vögel beringt. Aber erst wurden wir wieder zum Essen eingeladen, gebratenen Fisch mit Glumst (Quark). O je, die Teller machten keinen guten Eindruck! Es war eine nette Geste und wir wollten sie nicht beleidigen. Das nächste Ziel war eine Ziegelei, wo die Mutter von Ernst früher gearbeitet hat. Der kleine Hof, den die Großeltern von Ernst mal besessen hatten, war auch dem Erdboden gleichgemacht. Also, den Ort Jonaten gibt es nicht mehr. So fuhren wir Richtung Klaipėda, wo wir den Abend in netter Gesellschaft verbrachten!

Dies war eine schöne Reise, wir haben viel gesehen, aber nur zum Kennenlernen, denn wir haben sie noch dreimal in eigener Regie gemacht, das letzte Mal mit unserer Tochter und Schwiegersohn. Litauen, ist ein schönes Land, es lohnt sich, es zu besichtigen.

Über den Autor

Edith Kollecker

Jahrgang 1934
Facharbeiterin

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