Fisch im Glas

F

Es war mein ganzer Stolz. Ich besaß einen Zylinder aus Glas. Ihn hatte ich mit Wasser gefüllt. Den Glasboden hatte ich mit feinem Sand bedeckt. Einige Grashalme vervollständigten meine Biosphäre. Jetzt fehlten nur noch die Fische. Viel Geld hatte ich nicht. Ich war gerade mal 11 Jahre alt. Meine Freunde hatten sich ebenfalls kleine Wasserbecken zugelegt und sie für die Aufnahme von Fischen vorbereitet. Wir gingen gemeinsam in ein zoologisches Fachgeschäft. Die gab es kurz nach dem Krieg wieder. Mit unserer spärlichen finanziellen Ausstattung konnten wir uns nur Guppys erlauben. Man nennt ihn auch den Millionenfisch, weil er sich kolossal vermehrt. Das wollten wir erleben. Wir wurden schnell handelseinig. Eilig gingen wir nachhause und entließen das schwimmende Volk in ihr neues Zuhause. Ich hatte vier Guppys erworben. Sie waren hübsch bunt. Es waren drei Weibchen und ein Männchen. Das Männchen konnte man an der trapezartigen Schwanzflosse erkennen.

Bei uns sollten die Fische es gut haben. In einigen kleinen Teichen, die hatten sich in der Trümmerlandschaft gebildet, gab es Wasserflöhe. Mit feinmaschigen Netzen sammelten wir das Nahrungsgut für unsere schwimmenden Freunde ein. Als Netze nahmen wir alte Stofffetzen. Aus Draht formten wir eine Schlinge, auf die wir den dünnen Stoff befestigten. Der Fang wurde in einem alten Marmeladenglas zwischengelagert. Den Inhalt kippten wir später in unsere Wasserbecken. Die Fische machten sich sofort über die liebevoll zubereitete Mahlzeit her. Es schien so, als wollten sie sich für unsere Mühe bedanken. Sie fraßen alles was sich bewegte. Ich konnte ihnen stundenlang zusehen, wie sie die von mir geschaffene künstliche Biosphäre in Besitz nahmen.

Sie enttäuschten mich aber auch ein wenig. Es fand keine Vermehrung statt. Woran das wohl liegen konnte? Bei meinen Freunden sah es nicht anders aus. Wir suchten Rat bei einem Aquarianer. So nannten sich die Besitzer großer Fischwelten. Für mich waren es Welten, deshalb nannte ich es auch so. Die Wohnbezirke der Flossengemeinschaft waren ähnlich eingerichtet wie in unseren Gläsern. Aus Wasser, Sand und Pflanzen hatte er eine lebendige Fischwelt geschaffen. Es waren sogar sehr viele Pflanzen, die der Wasseroberfläche entgegen wuchsen. Sie sorgen für den unbedingt erforderlichen Sauerstoff. Denn Fische brauchen wie wir Menschen Sauerstoff. Sie nehmen es mit ihren Kiemen auf. Die Kiemen befinden sich gleich hinter dem Kopf. Durch sie wird der im Wasser befindliche Sauerstoff herausgefiltert. Die Wasseroberfläche wurde durch eine künstlich erzeugte Strömung in Bewegung gehalten. Eine elektrische Luftpumpe sorgte für den notwendigen Druck. Dadurch wurde der Sauerstoff im Wasser gleichmäßig verteilt.

Die Pflanzen brauchen ebenfalls Nahrung zum Wachstum. Unser Aquarianer hatte neben dem Becken eine Flasche Wasser mit Kohlensäure stehen. Für mich war das Sprudelwasser. Die Kohlensäure wurde über eine Schlauchverbindung in das Becken geleitet. Das Kohlendioxyd nehmen die Pflanzen auf und wandeln es in Sauerstoff um. Außerdem verhindert das Kohlendioxyd den Algenbewuchs im Wasserbecken. Über ein verstecktes Filtersystem wurde das Wasser gereinigt. In einem Topf hatte er Filtermasse geschichtet. Eine Schlauchverbindung leitete das Wasser über diese Schicht. Die Schadstoffe werden zurückgehalten und das so gereinigte Wasser wiederum durch einen Schlauch in das Becken zurückgeführt.

Wir staunten darüber, an was man alles denken musste. Das hatten wir nicht bedacht. Es wunderte uns daher nicht, dass unsere Guppys trotz Wasserwechsel nicht überlebten. Wir waren traurig, dass wir ihnen das Leben genommen hatten. Wir nahmen uns vor, dass wir uns erst dann wieder mit der Wasserwelt beschäftigen würden, wenn wir uns die dafür erforderliche Technik leisten konnten. Bis dahin war es noch ein weiter Weg. Wir waren alle gerade mal 11 Jahre alt.

Über den Autor

Uwe Neveling

Jahrgang 1937
Systemanalytiker

Neueste Beiträge

Kategorien