Eltern

E

Ja, wir sind Eltern, haben zwei Buben – nein-nein, es sind schon ausgewachsene Kerle mit ihren 40 bzw. fast 50 Jahren. Beide noch nicht verheiratet, weshalb es auch noch keine Enkel gibt. Dieser Zustand verstärkt bei uns den Eindruck, es seien noch immer unsere Kinder, um die wir uns kümmern müssen, selbst wenn sie sich längst abgenabelt haben.

Wir haben mit ihnen guten Kontakt. Der ältere besucht uns alle 14 Tage am Wochen­ende. Er hat bei uns noch immer sein eigenes Zimmer mit Fernseher und Radio, den Großteil seiner Wäsche und Oberbekleidung und ist natürlich hier zu Hause.

Die Tage, in denen er in einer Wohngemeinschaft für Behinderte lebt, kann man im weitesten Sinne als „auf Montage…“ bezeichnen, denn im „Hotel Mama“ schläft er sich aus, legt seinen Alltagstrott ab und lässt seine Wäsche waschen. Manchmal hilft er auch bei kleinen Aufgaben mit, aber wir lassen ihn „sich erholen“.

Wenn wir miteinander sprechen, sind wir natürlich „Mama und Papa“ und benehmen uns auch so, denn wie alt er ist, ist nicht relevant, er ist halt noch SOHN, selbst wenn wir nicht mehr auf ihn wie einen Heranwachsenden aufpassen müssen.

Natürlich freut er sich, dass er noch ‘Mama und Papa’ hat, vor allem des-halb, weil sie in seiner unmittelbaren Nähe wohnen. Da ist er privilegiert, denn andere Mitbewohner in seiner Wohngemeinschaft sind entweder älter oder ihre Eltern wohnen weit entfernt von hier. Im Umgang mit uns merkt man das auch.

Manchmal hätte ich mir als junger Mensch gern solch einem Zustand gewünscht, mal mit den Eltern Probleme zu besprechen oder einfach nur mal wieder „zuhause zu sein“, im Schoß der Familie, der Mama einen Kuss geben und mit dem Vater ein gepflegtes Bier trinken. Darauf mussten viele meiner Generation verzichten. Vater war im Krieg geblieben oder war ausländischer Fremdarbeiter, Holländer oder Pole, der sich nach dem Krieg nicht um sein Kind kümmerte. Unsere Mutter starb an Tbc, einer tödlichen Krankheit, die noch 4-5 Jahre nach dem Kriegsende als unheilbar galt, weil es in dem besiegten Land keine Medikamente dagegen gab. Knapp 38 Jahre wurde sie alt, bekam drei Kinder und hatte die beiden Weltkriege als Kind und junge Frau miterlebt.

Auf dem Grab, in dem auch der Vater beerdigt wurde, steckte vor einigen Jahren ein kleines Emaille-Schild mit der Aufschrift: „Liegezeit abge-laufen“ – es ist inzwischen eingeebnet.

Der zweite Sohn, 40 wird er in ein paar Monaten, lebt seit Jahren in den Staaten und will auch dort bleiben. In „Zeiten wie diesen“ ist das kein unüberwindbares Problem. In ein paar Stunden ist der Flieger in Atlanta, von da bis Florida oder Pennsylvania noch eine Stunde und schwupp – sind wir da! Ansonsten schreibt man sich e-Mails, die sind in Sekundenschnelle bei ihm oder bei uns und kosten kein Porto. Natürlich kann man auch noch Briefe schreiben oder andere postalische Dienste in Anspruch nehmen nach dem Motto „…schreib mir doch mal wieder ein Paket!“ Aber das ist zeitaufwändig. Briefe brauchen eine gute Woche, Päckchen viel länger und manchmal gehen sie auch verloren. Man kann ja auch schnell mal telefonieren. Wenn unsere Eltern mit der Tante aus Amerika telefonieren wollten, mussten sie das Gespräch anmelden und warten. Heute wählen wir jeden Telefonanschluss selber an und haben in Sekunden die Tante in Australien an der Strippe! Man kann sich sogar am Computer sehen, was früher in Zukunfstvisionen gern beschrieben wurde, das sogenannte Bild-Telefon ist Realität. Das ist durch die neuen Techniken kein Privileg für Reiche, das kann sich jeder leisten und Alter spielt für diese Computerspielereien dabei auch keine Rolle mehr. Meine Tante ist weit über 90 Jahre alt, sie benutzt diese Technik seit langer Zeit, um mit ihrer Cousine in Kanada zu sprechen. Wer da behauptet, Internet können alte Leute nicht, der irrt gewaltig!

In den nächsten Tagen fliegen wir über den „großen Teich“ und ich freue mich, mei­nen Sohn noch einmal zu umarmen, denn das wird sicher meine letzte Fernreise sein, was aber nicht bedeutet, dass dann auch der Kontakt zu ihm eingestellt wird. Es bleibt uns ja noch das Internet und die Hoffnung, dass der „Kleene“ – er ist fast 2 Meter lang – ja doch vielleicht noch zu meinen Lebzeiten zurückkommt.

 aufgeschrieben im April 2016

Über den Autor

Fritz Schukat

Jahrgang 1935
Prüfdienstleiter

Neueste Beiträge

Kategorien