Eisenbahnromantik

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Mein Freund wurde im Januar 2010 75 Jahre alt. Er wohnte im Schwarzwald, und der ist nun mal leider sehr, sehr weit von uns entfernt. Um dort hinzukommen, habe ich – schon allein wegen des winterlichen Wetters – die Eisenbahn gebucht, und zwar im Internet. Zum Schalter braucht man heutzutage nicht mehr zu gehen, man druckt sich seine Fahrkarte am heimischen PC aus! Das hab ich natürlich nicht geschafft, ein netter junger Mann, ein Bekannter von uns hat das für mich gemacht!

Ich habe mich auf die Eisenbahnfahrt gefreut! 650 km im „5-Stunden-Ritt“ auf dem ICE. Mit dem Auto – erst recht bei dieser winterlichen Witterung – nicht zu toppen.

Der ICE hält von Hamburg bis Baden-Baden nur 5x jeweils für ein paar Minuten. Der Höllenritt geht mit Hochgeschwindigkeit meist auf schnellen geraden Strecken und durch extra gebaute Tunnel fast lautlos und rüttelfrei, so dass man zeitweise sogar Getränke abstellen kann, ohne dass man befürchten muss, dass sie umfallen.

Diesen Komfort gab es früher nicht, aber daran kann sich heute kaum noch einer erinnern. Ich weiß jedenfalls noch aus eigener Erinnerung, dass es außer der ersten und zweiten Klasse auch noch eine dritte Klasse bei der Eisenbahn gab. Ganz früher soll es sogar noch eine vierte Klasse gegeben haben, aber an diese Zeit erinnert sich aus meiner Umgebung keiner mehr. Ein bisschen lauter gedacht, war dies der Anfang einer netten Gesprächsrunde in dem Abteil, in dem ich meinen Sitzplatz reserviert hatte.

„Früher gab es ja auch noch Raucherabteile! Und wenn man als Raucher zufällig in einem Nichtraucherabteil saß, ging man nach draußen, denn auf dem Gang konnte man überall rauchen!“ „Da kann ich aber was anderes berichten“, sagte mein Gegenüber. „Ich fand einmal keinen Platz auf dem Gang und ging durch die gläserne Schwingtür in den Wagenteil, in dem sich die „Erster-Klasse-Abteile“ befanden. Als nun der Kontrolleur kam, verwies er mich zurück in den 2.-Klasse-Bereich, denn ich hätte ja für diesen Wagenteil keine Fahrkarte gelöst!“ Die Kontrolleure mit ihren schicken, blauen Uniformen, den Goldknöpfen und den roten Ledergürteln, die quer über die Schulter getragen wurden, waren Respektspersonen und wandelnde Auskunftsbüros. Und sie hatten einen unbestechlichen Blick – ich bin selbst auf langen Fahrten nie ein zweites Mal kontrolliert worden!

Überhaupt, früher waren die Abteile nicht so bequem, wie heute. Polstersitze kannte nur die 1. Klasse. Die 2. Klasse hatte wohl schon stoffbezogene Sitze, aber in der 3. saß man auf blanken Holzbänken. Auf manchen Museumsbahnen, sogar noch auf Kleinbahnstrecken, wie der Harzer Schmalspurbahn, die heute noch mit Dampfmaschinen zum Brocken hochfährt, gibt es „Großraumwagen“, in denen die Abteile nur angedeutet sind. Man sitzt sich gegenüber, und zwischen den Bänken stehen halbhohe Abgrenzungen, darüber an Hochstreben die Gepäcknetze. Auch die Fenster ließen sich ein Stück weit öffnen. Das gibt es heute nicht mehr, dafür kleben ein paar unverständliche Piktogramme rechts und links neben einem dicken roten Punkt, auf den man bei Gefahr mit dem dort verplombten Hammer hauen muss.  

Die einzelnen Wagen waren mit „Ziehharmonikas“ verbunden, über der Kupplung lagen jeweils 2 halbrunde Eisenplatten übereinander, die fürchterlich quietschten, wenn es in eine Kurve ging. Man hörte die Außengeräusche dort praktisch ungefiltert und der Wind wehte einem durch die Kleidung. Ganz früher gab es an beiden Wagenenden sogar noch freie Perrons, die nur mit Eisengeländern abgesichert waren. Man stand dort auch bei höheren Geschwindigkeiten draußen im Freien! Das war dann eine ziemlich wackelige und windige Sache.

Die Gleise lagen auf dicken Holzbohlen in Kiesbetten, aber es gab kleine Zwischenräume, die so genannten Schienenstöße. Wenn der Zug dort rüberdonnerte, waren eindeutige Knattergeräusche zu hören, die auch heute noch die Chronisten zu kindlichen Lautmalereien ala „rattatat-rattatat“ anregen. – Sie sehen, auch ich kann nicht darauf verzichten! Heute sind die Gleise kilometerlang verschweißt und die Züge fahren ohne die altbekannten „rattatat“-Laute darüber! Ich habe schon öfter Freunde und Bekannte gefragt, ob sie sich erklären können, wieso es bei dieser Technik offenbar nicht zu den bekannten temperaturbedingten Ausdehnungen der Gleisstränge komme, die es auch heute noch – physikalisch gesehen – geben müsste. Den Trick haben wir noch nicht gelöst, er wird aber ganz einfach sein – denke ich!

Die Signaltechnik war pure Handarbeit. In Stellwerken standen handbetriebene Hebel, die mit runden Eisengewichten beschwert waren. Mit diesen Hebeln wurden Signale, Vorsignale und Schranken bedient, die z.T. hunderte von Metern entfernt waren. Da die Drähte sehr stramm gespannt waren, summten sie, wenn sie bewegt wurden. An viel befahrenen Straßen standen aber auch Schrankenwärterhäuschen, in denen die Schrankenwärter rund um die Uhr meist nach Fahrplan, aber auch nach entsprechenden Telefondurchsagen ihrer Pflicht nachkamen. Die Bundesbahn hatte ihr eigenes Telefonnetz, das unabhängig von der Deutschen Post (später Telekom) funktionierte. 

Merkwürdig war auch die Sache mit den Bahnsteigkarten. Wenn man jemanden am Zug verabschieden wollte, musste man eine Bahnsteigkarte für 20 Pfg. ziehen und diese an der Sperre abknipsen lassen. Dort saßen an den Sperren in mehreren kleinen Schalterhäuschen seitenverkehrt Bahnbeamte nebeneinander, die darauf aufpassten, dass niemand ohne gültige Fahrkarte auf den Bahnsteig kam. Diese Häuschen konnte man nur einzeln passieren und wenn sie nicht besetzt waren, wurde der Durchgang mit einer Kette versperrt.

Wir hatten einen tollen Gesprächsstoff gehabt, der mit vielen kleinen Erlebnissen untermalt wurde. Schade nur, dass die vier Personen, die am intensivsten mitmachten – auch ältere Semester wie ich – schon in Frankfurt/M. umstiegen. Dennoch verging die restliche Zeit der Fahrt bis Baden-Baden bei nettem small-talk wie im Flug! 

Fritz Schukat, im Januar 2010

 

 

Über den Autor

Fritz Schukat

Jahrgang 1935
Prüfdienstleiter

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