Eine Fahrradtour

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Es war 1951 in Ellerau, ich hatte ein dreiviertel Jahr einen Neunpersonen-Haushalt geführt mit 5 Kindern und 4 Erwachsenen. Gesehen hatte ich von Ellerau noch sehr wenig, außer die Schlachterei Pilz, die Bäckerei Krebs und den Kolonialwarenladen Sievers. Dieses waren die Wege, die ich wöchentlich fuhr, um einzukaufen. Ein Fahrrad stand für diesen Zweck, aber auch für die ganze Familie zur Verfügung.

Um das Einerlei etwas aufzufrischen, meldete ich mich bei dem Land-frauenverein an. Mir war am ersten Abend ziemlich unwohl dabei, als ich erzählen musste, welche Arbeit ich verrichtete, denn die meisten Mit-glieder waren erfahrene Bauersfrauen oder Töchter von Bauernhöfen, die hatten natürlich ganz andere Erlebnisse. Es war jedenfalls ein schöner Abend, denn jeder hatte etwas zum Naschen mitgebracht und es wurde viel gelacht. Ich habe es zwar nicht so gut empfunden und hatte Hemmungen, mich an den Gesprächen zu beteiligen, natürlich wusste ich, dass ich da durch muss und so lernte ich, meinen Platz in dieser Gesellschaft zu finden.

Beim nächsten Treffen fand mein Kuchen Beifall und das Spiel, welches so banal und einfallslos ist, hat viel Spaß gemacht. Man braucht dazu nur ein Blatt Papier, einen Spiegel und einen Bleistift, malt ein Quadrat auf das Papier und muss nun von der einen Ecke zur anderen eine Linie ziehen. Hört sich sehr einfach an, leider muss man dabei in den Spiegel schauen, da hapert es dann immer und das Gelächter der anderen ist groß, bis sie selbst dran sind.

Im Sommer schlug mal eine Frau eine Fahrradtour zur Ostsee vor, und zwar nach Scharbeutz. Beim nächsten Treffen war der Plan perfekt ausge-arbeitet, wann und wo die Abfahrt war, welchen Weg wir nehmen und wo wir übernachten. Ich hatte schon etwas Bedenken, ob mein altes Fahrrad die Tour mitmacht, denn es hatte schon so seine Macken. Dass die Ostsee so weit von Ellerau entfernt ist, hatte ich nicht gedacht, denn auf der Karte sah der Weg nicht so weit aus.

Der erste Halt war in Kisdorf bei einer Molkerei. Ich war noch in bester Stimmung, obwohl mein Rad muckte und ab und an übersetzte. Wir

bekamen eine Kostprobe Joghurt, der mir nicht schmeckte. Das hat sich aber inzwischen geändert, denn jetzt esse ich jeden  Tag einen Joghurt. Die Strecke, die wir fuhren, weiß ich nicht mehr, wohl aber, dass wir damals ziemlich kaputt in Scharbeutz ankamen. Erst einmal wurde eine Pause am Strand gemacht und dann die Herberge aufgesucht. Wir bekamen einen großen Saal zugewiesen und jeder eine Matte, wo wir unser Nachtzeug rauf legten. Auch da war ich im Nachteil mit Wolldecke und Sofakissen. Das Schlimmste war aber, als alle splitternackt zur Dusche eilten. Es war mir sehr peinlich, doch auch dieses ließ ich über mich ergehen. Am nächsten Tag teilte sich die Gruppe und ich besuchte meinen Onkel in Timmendorf. Aus Angst, den Treffpunkt zu verpassen, blieb ich nicht lange. An die Rückfahrt kann ich mich nicht erinnern, doch es war sicher keine Freude. Das war meine erste Reise und ich hatte viel an Erfahrung gewonnen.

Inzwischen habe ich viele Länder bereist und es gibt immer noch Ziele, die ich gerne kennenlernen möchte.

 

aufgeschrieben 2019

Über den Autor

Edith Kollecker

Jahrgang 1934
Facharbeiterin

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