Ein Wiedersehen nach sechzig Jahren

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Edith oder Das Internet macht’s möglich“
Ein Wiedersehen nach sechzig Jahren (von Ingrid von Husen)

So oft ich mich auch mit Menschen von früher über die schweren Nachkriegsjahre unterhalte, ich treffe nie jemanden, der in der Zeit richtig gehungert hat. Es heißt dann immer, ja es war zwar alles knapp und es gab oft Steckrüben, aber richtig gehungert haben wir nicht. Sicher haben das viele Menschen verdrängt, aber ich kann es nicht vergessen. Jede Scheibe Brot, die mir schimmelig wird und ich entsorgen muss, macht mir ein schlechtes Gewissen – und dann kommen auch die Erinnerungen zurück.

Die Jahre der Entbehrungen fielen in die Zeit meiner Pubertät. Ich hatte immer Hunger. Meine alleinstehende Mutter war voll berufs-tätig. Wo und wann sollte sie also etwas organisieren? Auch Tauschobjekte hatten wir auf Grund der Ausbombung – wie so viele andere Menschen – nicht. Ich erinnere mich, dass, wenn morgens die Haustür klappte und meine Mutter zur Arbeit ging – ich war zu der Zeit ein Schlüsselkind – ich aus dem Bett hüpfte, mir meinen Brotkasten, der auf dem Tisch stand, mit ins Bett nahm und meine ganze Tagesration auf einmal verschlang. Meist war es Brot mit dünn geschmierter Margarine und ein wenig Zucker darauf. Noch heute esse ich gerne Zuckerbrot (Nostalgie?), dann aber mit dicker Butter darunter. Die Form und Farbe des Brotkastens ist mir noch heute in Erinnerung. Selbst, wie es sich anfühlte, wenn ich den Deckel öffnete. Der Kasten war goldfarben und der Deckel hatte ein geriffeltes Muster.

Ich beschreibe es hier so ausführlich, damit der Leser sich meine Freude und mein Glück vorstellen kann, was es für mich bedeutete, als eines Abends mein ‚biologischer‘ Vater vor unserer Tür stand, von dem wir sehr lange nichts gehört hatten. Was der alles mitbrachte! Ich kam mir vor wie im Schlaraffenland. Unter den vielen leckeren Sachen war auch ein schneeweißes Brot, wie es nur die „Amis“ hatten. Natürlich  auch „Gute Butter“ Ich weiß, dass ich schon mein Nachthemd an hatte und als ich das Brot und die Butter sah, fragte ich sofort meine Mutter, ob ich wohl ein Stück haben könnte. Sicher habe ich – das immer hungrige Mädchen – Brot und Butter gierig verschlungen und sicher hat das auch meinem Vater zu denken gegeben. Ab der Zeit hat er für mich gesorgt. Er kam nun in Abständen und brachte Lebensmittel. Einmal stellte er einen Zentner Kartoffeln in unseren Keller, in dem wir damals wohnten. Wie man weiß, waren auch Kartoffeln damals knapp.

Mein Vater hatte inzwischen geheiratet. Seine Tochter Edith war 5 ½ Jahre jünger als ich. Es lief darauf hinaus, dass ich sehr oft bei ihm zu Hause war. Seine Frau war ganz reizend zu mir – und Edith erst! Wir waren beide begeistert, plötzlich eine Schwester zu haben und außerdem gab es im Hause meines Vaters immer gut und satt zu essen.

Meine ersten Erinnerungen an meinen Vater waren nur spärlich. Wenn er auf Urlaub kam und uns besuchte, er war bei der Marine, habe ich stets seine Matrosenmütze bewundert und die langen, seidigen Bänder durch meine Hände gleiten lassen.

Später, in der Nachkriegszeit, als ich öfter bei seiner Familie zu Besuch war, war er selten zu Hause. Er war ein sehr introvertierter Mann, zu dem man schwer Kontakt bekam. Ich, ein schüchternes Mädchen – da tat sich gar nichts zwischen uns, zumal mir die ganze Situation sowieso sehr suspekt war!

Edith habe ich als kleines, fröhliches, patentes und sehr herzliches Mädchen in Erinnerungen. Stolz hat sie mich überall rumgereicht, um zu verkünden, dass sie nun eine Schwester habe. Sie ähnelte ganz und gar ihrer Mutter, während ich äußerlich sehr meinem Vater glich.

Nach meiner Jugendweihe, als ich bald sechzehn Jahre wurde, habe ich den Kontakt von mir aus abgebrochen. Warum? Ich weiß es heute wirklich nicht mehr!

Im Mai 2010 hat mich meine Schwester nun über das Internet gefunden. Ich hatte bis dahin schon etliche Geschichten auf der Webseite der Norderstedter Zeitzeugen veröffentlicht und da ich noch meinen Mädchennamen trage, der ja auch einen gewissen Erkennungswert hat, habe ich immer gehofft, es würde sich mal ein Mensch aus der damaligen Zeit bei mir melden. Und nun das! Es ist wie ein Wunder! Die Begegnung mit Edith hat mich sehr aufgewühlt und somit die Erinnerungen an die damalige Zeit in mir wach gerufen, als wenn es gestern gewesen wäre.

Edith hatte sich an den Moderator der Gruppe gewandt, der die Sache dann an mich weiter geleitet hat. Meine erste Mail lautete: „Ja, ich bin es – hoch lebe das Internet!“ Darauf haben wir noch einige Male hin und her gemailt. Beim ersten Telefonat war erst Stille, in der keine sich getraut hat, was zu sagen, dann haben wir ein wenig geheult und dann gab es Fragen über Fragen. Es war sofort Nähe da!

Edith ist eine warmherzige, humorvolle und patente Frau, die mit beiden Beinen auf der Erde steht. Ich bin sehr glücklich, nach sechzig Jahren wieder eine Schwester zu haben und hoffe sehr, dass wir uns nicht wieder verlieren!

erstellt 10.09.2011

 

 

 

 

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