Dorfschwof

D

Als ich fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war, bildete ich zusammen mit einem Musikerehepaar, er Pianist, sie Geigerin, so etwas, was man bald darauf eine ‚Band‘ nannte, freilich eine Band ohne E-Gitarre und Percussion.

Mein Instrument war das Akkordeon, das ich in seinem Kasten auf den Rücken schnallen und per Fahrrad transportieren konnte. Damals spielte man – es waren die Fünfzigerjahre des 20. Jahr- hunderts meist schmalzigen Tango, Slowfox oder english waltz.

Hatte man die Dorfkneipe erreicht, wurde man durch den Wirt erst einmal mit einem deftigen Bauernfrühstück gemästet, damit der Alkohol nicht auf einen unvorbereiteten Blutkreislauf stieß. Immerhin gab es von Anfang an etliches an Hochprozentigem. Eine Buddel Branntwein stand gleich auf dem Klavier und mindestens zu jedem zweiten Tanz gab irgendein spendabler Bauer eine Runde für uns Musikanten aus.

Das bedeutete auch, dass unsere Gemüter über das Normalmaß hinaus erhoben wurden und wir nachts so gegen zwei Uhr eine Fingerfertigkeit bekommen zu haben meinten, die aus uns Meistervirtuosen machte falls nicht der Alkohol unsere Hörfähigkeiten beeinträchtigte.

Irgendwie bildeten wir Musiker einen Gegenpol zu unserem Publikum, das nämlich, je mehr die Nacht voranschritt, immer größere Ermüdungserscheinungen zeigte. Wer anfangs noch eine kesse Sohle aufs Parkett gelegt hatte, schwofte jetzt ziemlich träge daher und schob Partnerin oder Partner schmachtend und schmusend über den Tanzboden. Um vier oder fünf Uhr gab der Wirt noch einen Absacker aus, dann folgte dem Engagement der Alltag. Für mich hieß das: Mit dem Akkordeonkoffer auf dem Rücken nach Hause radeln – waschen – Frühstück – Schule. Der Montag war in der Regel der Tag, an dem meine Lehrer am wenigsten von mir hatten.

erstellt 2007

Über den Autor

Jürgen Hühnke

Jahrgang 1935
Gymnasiallehrer

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