Die Stadt

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Hier bin ich aufgewachsen, hier in der Andreas-Hofer-Str.. Hier wohnten meine Freunde, Karl-Heinz gegenüber in der 19, Reinhold in der Steubenstr., Theo im Freigrafendamm. Der Freigrafendamm führt zum Zentralfriedhof. Da, wo auf der rechten Seite jetzt große Häuserzeilen stehen, war ein Kornfeld. Nach der Ernte, im Herbst, spielten wir hier Fußball und ließen unsere Drachenvögel steigen. Ein großer, quadratischer Häuserblock bildet die Straßenbegrenzung in der AH-Str., Steubenstr., Altenbochumer Str. Püttmannsweg und Freigrafendamm. Der Häuserblock hatte den Krieg einigermaßen gut überstanden. Auf halber Höhe am Freigrafendamm war eine Bombe eingeschlagen. Der Teil war kurz nach dem Krieg nicht bewohnbar. Er wurde aber später wieder passgenau aufgebaut. Große Durchgänge führen in den Innenhof. Hier hatte man einige Gärten angelegt. Die Bewohner konnten hier Möhren, Melle, Kappes und Salate ernten. In der Mangelzeit waren das köstliche Ergänzungen zum ohnehin knappen Nahrungsangebot. Einige hielten sich hier sogar Hühner. Ihre Eier waren eine Delikatesse. Überall lagen Ziegelsteine herum. Wir stapelten sie zu kleinen Hütten. Als Regenschutz legten wir Zweige und Pappmaterialien auf die quadratisch hochgezogenen Mauern. Wir vergaßen auch Türen und Fenster nicht. Die rechte Häuserzeile in der Andreas-Hofer-Str. sieht optisch gelungen aus. An der Einmündung zum Freigrafendamm ist sie bogenförmig gestaltet.  Es gibt dort runde Ecken. Auch hier gibt es einen Innenhof. Der grüne Rasen lud zum Fußballspielen ein. Die Teppichstangen waren die Tore, die man für das Spiel brauchte. Ohne Tore, kein Spiel. Hinter dem Innenhof war eine Gärtnerei. Ein halbhoher Zaun sperrte den Zugang. Derjenige, der den Ball über den Zaun geschossen hatte, musste ihn wieder holen. Der Gärtner sah das gar nicht so gerne und drohte, uns den Ball wegzunehmen. Dazu ist es aber nie gekommen. Auch er hatte wohl ein gutes Herz und sah uns manchmal neidvoll beim Fußballspielen zu. Zu gerne hätte er mitgespielt. Ich erinnere mich, dass wir während des Krieges im Hof gespielt haben. Bei Fliegeralarm sammelten die Frauen ihre Kinder ein, saßen im Keller und warteten auf Entwarnung. Ich hatte eine Märklin-Eisenbahn und Andree gegenüber auch. Die bauten wir auf den Steinplatten, die man an die Häuser gelegt hatte, auf. Aufgedreht mussten die Züge schon mal eine Entfernung von 30 m zurücklegen. Das war nach dem Krieg, Fliegeralarm gab es nicht mehr. Ich hatte es nicht weit zur Realschule. Sie lag schräg gegenüber der katholischen Kirche. Ich konnte sie in 10 Minuten erreichen. Die Volksschule, die ich zuvor besuchen musste, lag an der Wasserstr.. Dafür brauchte ich 20 Minuten. Ich musste ein kleines Wegstück in die Velsstr. gehen, dann links in den Glockengarten und schräg rechts in den Pappelbusch. Die Straße endete an der Wasserstr.. Von hier waren es dann nur noch wenige Schritte bis zur Schule. Ich lernte die Uhrzeiten kennen. Von der AH-Str. konnte ich die Uhr am Kirchturm sehen. Ich prägte mir die Stellungen des großen und des kleinen Zeigers ein, wenn man mir sagte, wann ich wieder zuhause sein musste. Das klappte auch meistens, wenn ich es nicht vergaß. Nach dem Krieg wohnten auch meine Großeltern bei uns, und Tante Maria mit Kusine Christa und Tante Mia, die Schwester meiner Mutter. Die Enge störte uns nicht. Man half sich gegenseitig und baute sich das Leben neu auf. All das änderte sich, als ich nach Hamme ziehen musste. In der Von der Reckestr. fanden wir eine neue Bleibe. Wir wohnten am Ruhrschnellweg. Der Autoverkehr war damals noch sehr lückenhaft. Man konnte gefahrlos die Straße überqueren. Heute gibt es die Verbindung zum Schnellweg nicht mehr. Es ist jetzt die Autobahn A40. In Hamme wohnten wir drei Jahre,  dann zogen wir wieder nach Altenbochum in den Freigrafendamm. Unser ehemaliges Stoppelfeld hatte man bebaut und hier wohnte ich bis zu meinem Studium in Köln. Ich kenne meine Stadt. Nicht immer reichte das Geld für Straßenbahn und Bus. Man ging dann zu Fuß oder fuhr mit dem Rad. Ich bin oft die Wittenerstr. hinunter gegangen. Rathaus, Kortumstr., Drehscheibe, Viktoriastr., Alleestr., Schützenbahn, Castroper Str., Stadtpark waren oft aufgesuchte Zielorte. Hier traf man sich mit Freunden. Im Milchhäuschen in der Klinikstr. feierten wir unseren Abschlusskommers. Im Bochumer Verein sahen wir beim Stahlglockenguss zu und im Stadion an der Castroper Str. unserem VfL.. Die Treffpunkte gibt es alle noch. Doch ihr Aussehen hat sich verändert. Es ist nicht mehr meine Stadt. Doch wenn ich die Augen schließe, erkenne ich sie wieder. Sie ist dann doch wieder meine Stadt.

Über den Autor

Uwe Neveling

Jahrgang 1937
Systemanalytiker

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