Die gute, alte Volksschule

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Die gute, alte Volksschule

Viele Menschen hegen eine große Aversion gegen die Schule, eine Phobie, der oft ein persönliches Versagen zugrunde liegt, ebenso oft aber die leidige Erfahrung. Im Unterschied und Gegensatz dazu habe ich die Schule als sehr angenehmen Ort in der Erinnerung. Mein Langzeitgedächtnis produziert allerdings Bilder aus dieser Zeit nur sehr bruchstückweise. Eigentlich erinnere ich mich kaum an Schulangelegenheiten, während der Schulweg – drei Kilometer vorwiegend an einem Bahndamm entlang mit im Winter tief verschneiten Gräben, in denen ich versackte – viel lebhaftere Eindrücke hinterlassen hat.

Das Gebäude meiner Grund- bzw. Volksschule war ein typischer, preußischer, gründerzeitlicher Zweckbau der 1880er Jahre mit hohen Fenstern und Klassensälen. Das Mauerwerk bestand aus einfachen Ziegeln, doch waren in die Risalite und zudem als Friese glasierte Klinker eingefügt.

Von der Innenarchitektur hat sich mir nur das Treppenhaus eingeprägt und das deshalb, weil Anfang 1945 auf dem Dachboden untergebrachte Flüchtlinge die ausgetretenen Stufen mit ihrem Auswurf wie mit Kutscherrotz glitschig machten, was einen widerlichen Anblick bot.

Der alte Herr Voss, unser ziegenbärtige Lehrer, verfügte durchaus über einen Rohrstock, doch ist mir dessen Einsatz im Langzeitgedächtnis nicht gegenwärtig, was aber daran liegen mag, dass ich als (zumeist) braver Schüler nicht in den Genuss dieses Instruments kam.

Aus der Zeit des Kriegsendes ist eine Episode bei mir hängen geblieben, die Erinnerung an eine Aufgabenstellung. Aufgaben muss ich ohnehin recht gern erfüllt haben, da ich schon am ersten Schultag statt zweier Reihen von Sütterlin – “i” – bei meiner Einschulung 1941 war diese Normschrift noch üblich, bevor Hitler eingeflüstert wurde, die Fraktur sei eine Erfindung jüdischer Buchdrucker – gleich die ganze Schiefertafel vorn und hinten damit füllte.

Besagte Aufgabe 1945 bestand darin, das Schulhaus zu vermessen und den Grundriss maßstabsgerecht aufzuzeichnen. Bei Viertklässlern würde man das heute für eine totale Überforderung halten. Aber das war wohl das Geheimnis der damaligen Volksschule, die auch sonst eine reine Paukanstalt mit starkem Gedächtnisdrill war, dass aus ihr viele erfolgreiche Handwerker usw. hervorgingen. Jedenfalls hat sie mir nicht geschadet. Meine mathematische und besonders geometrische „Kompetenz”, wie man heute sagt, war vielmehr in hohem Maße angesprochen. In meinem Grundriss fehlten auch die Pfeiler und Risalite nicht.

Im Frühjahr 1945 wechselte ich auf die Nachbarschule völlig gleichen Typs über, eine Mittelschule, deren Lehrer mir am Schuljahrsende empfahlen, die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium zu machen. Trotz vieler gegenteiliger Behauptungen von heute bestand, einmal von jener Aufnahmeprüfung abgesehen, doch so etwas wie eine Durchlässigkeit im Bildungssystem.

Wenn meine Erinnerungen an die Schulzeit auch sehr spärlich ausfallen, wage ich zu behaupten, die alte und verrufene preußische Volksschule sei ein Erfolgsmodell gewesen. Ich sehe bei diesem Urteil einfach auf meinen Vater, der Absolvent einer solchen Schule und gelernter Schriftsetzer war, der perfekter in Wortschatz, Grammatik, Orthografie und Interpunktion war, als ich es je bei meinen späteren Deutsch-Leistungskurs-Schülern erleben durfte.

erstellt Juli 2013

Über den Autor

Jürgen Hühnke

Jahrgang 1935
Gymnasiallehrer

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