Barackenleben

B

Nachdem wir in Hannover zweimal ausgebombt waren, lebten wir mit fünf Personen bei meinen Großeltern in einem 20 qm großen Raum. Anfang 1945 hatten wir das große Glück und bekamen eine Wohnung in einer Baracke, die am Ende des Ortes für Ausgebombte gebaut war. Nun hatten wir eine richtige Wohnung, eine große Wohnküche, ein Schlafzimmer, ein Kinderzimmer und ein kleines WC in der Wohnung. Für mich war dieses das „Größte“. Nicht mehr im Dunkeln auf den Hof, keine Angst mehr, im Dunkeln nach draußen zu müssen! Das war schön. Wenn auch alles etwas eng und sehr hellhörig war, für mich war es fürstlich.

In einem Hauseingang wohnten acht Mietparteien, aber ich kann mich nicht erinnern, dass es einmal Streit unter den Nachbarn gegeben hat. Durch die leichten Holzwände konnte man jeder Unterhaltung des Nachbarn beiwohnen. Als ich später mit meiner Familie campen war, habe ich mich oft an die Zeit in der Baracke erinnert. Zeltwände sind genauso hellhörig. Für die Erwachsenen war dieses bestimmt manchmal nicht sehr angenehm, aber für mich als Kind hatte das einen ganz besonderen Reiz. In der Nachbarwohnung waren auch zwei Kinder und wenn wir am Abend im Bett lagen, haben wir uns noch recht lange unterhalten. Rolf, der Junge von nebenan, erzählte immer so schlimme Räubergeschichten, die mir Angst machten.

Mein Zimmer war etwa 4,20 m lang und 2 m breit. Hier hatten zwei Betten, ein Kleiderschrank, eine kleine Kommode, eine Nähmaschine und noch ein paar Kleinigkeiten Platz. In einem Bett schlief ich mit meiner älteren Schwester, im anderen mein großer Bruder mit seiner Frau, deren Tochter lag im Kinderwagen und dieser stand im Gang neben dem Bett.

Als Kind habe ich damals diese Enge nicht so empfunden. Bei den Erwachsenen entstanden schon mal Spannungen.

Es gab in der Wohnung nur einen Wasserhahn, dieser war über dem Spülstein. Darin wuschen wir uns, darin wurde abgespült und die tägliche kleine Wäsche wurde auch darin gemacht. Daneben stand der Herd, mit Holz oder Torf zu beheizen. Dort gab es immer einen Engpass. Mutti musste Essen kochen, Papa setzte Wasser auf für seinen so geliebten Kaffee, meine Schwägerin wollte das Fläschchen heiß machen und meine Schwester brauchte etwas warmes Wasser zum Waschen.

Vor dem einzigen Spiegel (recht klein) stand dann mein Bruder und brachte seine sehr schönen Haare in die richtige Lage. Wenn ich mich richtig erinnere, waren im Grunde aber alle froh, hier zu wohnen und nicht in irgendeiner Ruine in Hannover ohne Licht und Wasser. Es war eine schöne Wohnung, wenn man davon absah, dass jeder das Familienleben des anderen mithörte oder es von der Decke tropfte, weil über uns Kaninchen gehalten wurden und deren „Suppe“ dann zu uns durchnässte. In unserer Familie hatten alle den Krieg überlebt, was machten da schon der Andrang am Herd und die anderen Kleinigkeiten ?

Meine Geschwister zogen nach und nach aus, wir bekamen 1953 eine Wohnung in einem Steinhaus und brauchten bei den Familiengesprächen nicht mehr zu flüstern. 

erstellt am 10.05.2004 

Über den Autor

Annemarie Lemster

Jahrgang 1938
Verkäuferin

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